Mittwoch, 11. April 2012

Amor vincit omnia - Frauen-Reisen - Women Travellers


The English translation of this article is published on the website of the International League of Antiquarian Booksellers (ILAB)

Zum Thema Frauenreisen, reisende Frauen und so weiter wurde schon viel geschrieben und publiziert. Große Namen fallen einem ein, wie Alexandra David-Neel, Ida Pfeiffer, Isabella Bird oder Emma Roberts, um nur einige zu nennen.

Der bekannte Forscher (und Chauvinist) Samuel Hearne notierte folgendes über (mit)reisende Frauen: „Frauen sind für die Arbeit geschaffen; eine von ihnen kann so viel tragen oder ziehen wie zwei Männer. Sie stellen unsere Zelte auf, nähen und flicken unsere Kleidung und halten uns des Nachts warm … sie tun alles, und die Unterhaltskosten sind gering“.

Nicht jeder wird der Bemerkung über die geringen Unterhaltskosten zustimmen. Aber jeder, der einmal eine Reise mit einer Frau gemacht hat, die über das Besteigen eine Flugzeuges oder eines Schiffes hinausgeht, wird zustimmen, dass Frauen imstande sind, Außerordentliches zu leisten.

Ich will versuchen, hier einige dieser außergewöhnlichen Frauen zu schildern. Der Bogen spannt sich vom 4. bis zum 20. Jahrhundert. Es gäbe noch viel mehr zu berichten, der ganze Themenkomplex ist höchst interessant. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an den Sonderkatalog „Frauen Reisen“, den das Brockhaus / Antiquarium vor einigen Jahren heraus gebracht hat.

Eine der ersten Reisenden, von der wir schriftliche Zeugnisse haben, ist

Egeria

Einer der frühesten und klarsten Augenzeugenberichte einer Pilgerfahrt wurde 1884 in der Klosterbibliothek von Arezzo in Mittelitalien im Codex Aretinus beigebunden gefunden. Es ist eine Serie von Briefen in Tagebuchform, die Chronik einer dreijährigen Reise nach Ägypten, Byzanz und ins Heilige Land, geschrieben von einer Frau aus dem spanischen Galizien, wie man heute weiß. Sie war eine Pilgerin, wohl eine Nonne mit Namen Egeria (auch Aetheria oder Etheria geschrieben), die ihre Reise in den Jahren 381-384 unternahm. Sie wollte das Land der Bibel mit eigenen Augen sehen, um ihren „Schwestern“ zu berichten, was sie sah und erlebte. Anders als die meisten Reiseberichte ihrer Zeit, die lediglich Ortsnamen auflisteten, ist Egerias Tagebuch außergewöhnlich: Ihr Bericht zeigt Individualität. Sie beschrieb ihre Umgebung und die Menschen, die sie traf. Der Buchanfang ist verloren gegangen, jedoch konnte ein Egeria preisender Brief des aus Galicien stammenden Mönchs Valerius aus dem 7. Jahrhundert weiterhelfen. Aus den Fragmenten des Tagebuches und dem Brief ließ sich rekonstruieren, dass Egeria auf den Spuren des Exodus zum Berg Sinai reiste, zum Berg Nebo, wo Moses starb, nach Carnea, um Hiobs Grab zu besuchen, und nach Edessa zum Grab des Apostels Thomas. Sie erwähnt vorangegangene Fahrten nach Oberägypten und Alexandria, aber auch nach Syrien und Konstantinopel. Außerdem enthält der Bericht ausführliche Beschreibungen der Alt-Jerusalemer Liturgie. Unter anderem werden die Liturgie der Feste der Geburt Jesu, die Darstellung des Herrn, die Bräuche der Fastenzeit, der Karwoche und des Osterfestes beschrieben. Bedauerlicherweise bricht Egerias Tagebuch hier abrupt ab, und von der weit gereisten Dame ist nichts weiter bekannt.

Etwas mehr wissen wir schon über die hier beschriebenen, äußerst tatkräftigen Frauen

Freydis Eiriksdottir

Jahrhundertelang beschwor das Wort Wikinger Furcht erregende Visionen von mit Drachen gezierten Segelschiffen herauf, mit Kriegern aus den rauen nordischen Heimatländern an Bord, darauf aus, die Klöster und Städte an Europas Küsten zu plündern. In ihrer Blütezeit zwischen 800 und 1100 n. Chr. waren sie überlegene Entdecker, ihre Kolonien und Siedlungen erstreckten sich von der Wolga bis Konstantinopel. Wikingerfrauen reisten oft mit ihren Männern, gelegentlich führten sie eigene Expeditionen. Unter den Helden der nordischen Sagen nimmt Erich der Rote eine überragende Stellung ein. Weniger bekannt ist seine gefürchtete Tochter, Freydis Eiriksdottis. Ihre legendären Entdeckungsreisen in offenen Schiffen werden zum Teil in den Sagas Groenlendinga und Eiriks saga aus dem 12. Jahrhundert beschrieben. In ihnen wird ihr die Leitung einer Expedition über die weiten, eisbedeckten Meere nach Grönland und weiter nach „Vinland“ zugeschrieben – eine der überragendsten entdeckerischen Leistungen aller Zeiten, Jahrhunderte vor Kolumbus’ Entdeckung der Neuen Welt. Freydis selbst hätte sie wohl für die kleinere, neben zwei ihr wichtigeren Taten gehalten: Die erste bestand in einem ihr zugeschriebenen verräterischen und blutigen Massaker an ihren Brüdern und deren Gefolge, als sie ein besseres Schiff brauchte; ihr zweites Abenteuer schildert sie als Retterin ihrer Leute, als sie einen Gegenangriff gegen die skraelingar oder Eingeborenenvölker führte.

Unn die Tiefsinnige

Eine weiter Wikingerfrau, Unn die Tiefsinnige, gilt als die Stammmutter der ersten isländischen Kolonie. Ihre Taten werden in der Laxdaela saga geschildert. Sie war die Tochter des schottischen Herrschers Ketill Flachnase. Die Familie musste wegen einer Blutfehde aus Schottland fliehen und nahm Zuflucht auf den Färöer Inseln. Aber auch hier waren sie nicht sicher und segelten weiter zum fernen Island. Bevor sie an Land gingen, segelte Unns Gruppe an der Küste entlang, um das Gelände zu erkunden und in Besitz zu nehmen. Als sie einen Fjord hinaufsegelten, fand Unn einen Ort, der zur Besiedelung geeignet schien. Kurz darauf starb sie und wurde nach dem berühmten Wikingerritual in ein Schiff gelegt und unter einem Hügel begraben.

Maani Gioerida

Eins meiner Lieblingspaare in der Reiseliteratur, ein Monument der Liebe über den Tod hinaus, sind Pietro della Valle und Maani Gioerida. Della Valle (1586-1652) war ein begüterter und vielseitig talentierter römischer Edelmann. Nach einer unglücklichen Liebschaft wollte er sich zunächst umbringen, beschloss dann aber, eine Pilgerreise zu unternehmen. Er berichtet in zahlreichen Briefen an einen Freund von seinen Abenteuern und Erlebnissen. Er reiste nach Konstantinopel, wo er ein Jahr lebte und von dort über Alexandria nach Kairo. 1616 feierte er das Osterfest in Jerusalem und ging dann über Aleppo nach Bagdad. Hier traf er die schöne und liebenswerte Maani, die Tochter nestorianischer Christen aus der südöstlichen Türkei. Es war Liebe auf den ersten Blick. Die beiden heirateten und waren unzertrennlich, Maani ritt auf Pferden, Maultieren oder Kamelen mit Pietro durch die Wüsten Arabiens. Tragischerweise starb sie auf dem Wege nach Ormuz im Kindbett. Pietro war untröstlich und ließ sie in Kampfer einbalsamieren, da die üblichen Öle nicht zur Hand waren. Die Mumie wurde in einen Bleisarg gelegt und dieser in einem großen Koffer voller Kleidung versteckt. Della Valle schiffte sich nach Indien ein, wo er mehrere Jahre verbrachte. Er lebte dauernd in der Angst, dass bei einer der vielen Grenzüberschreitungen, die er zu bewältigen hatte, der Sarg gefunden würde. Diese Sorge kann jeder teilen, der jemals mit etwas mehr als dem Zollfreibetrag im Koffer eine Grenze überschritten hat! Schließlich kehrte er 1626 nach Rom zurück. Maani wurde in der Familiengruft beigesetzt, nachdem Pietro den Sarg ein letztes Mal hatte öffnen lassen, um einen Abschiedsblick auf seine geliebte Frau zu werfen. Kurz danach heiratete er eine junge Perserin, die Maanis Zofe gewesen war, und zeugte mit ihr 14 Söhne.

Della Valles Briefe wurden unter dem Titel „Viagi in Turchia, Persia et India descritti da lui medesimo in 54 lettere famigliari“ herausgegeben und waren sofort ein Bestseller. Das Werk wurde in viele Sprachen übersetzt, die deutsche Ausgabe erschien mit dem etwas sperrigen Titel: Reiß-Beschreibung in unterschiedliche Theile der Welt, nemlich in Türkey, Egypten, Palestina, Persien, Ost-Indien, und andere weit entlegene Landschafften: samt einer ausführlichen Erzelung aller denck- und merckwürdigsten Sachen, so darinnen zu finden u. anzutreffen, erstl. V. d. Authore selbst […] in ital. Sprache beschrieben, u. in 54 Send-Schreiben in 4 T. verf. Genff, Widerholt, 1674.

Etwa 100 Jahre später machte eine Lady von sich reden, die sich so gar nicht den Konventionen der Zeit unterwerfen wollte:

Lady Mary Wortley Montagu

Die Respekt einflößende Lady verstand sich nie als Mitreisende, sie sprach von sich selbst, mit nachvollziehbarem Stolz, als „Reisende“. Sie war eine selbstbewusste Tochter aus gutem Hause, ihr Vater war der Herzog von Kingston upon Hull. 1712 heiratete sie, gegen den väterlichen Willen, Edward Wortley Montagu, den Bruder einer Brieffreundin. Dieser wurde 1715 Schatzkanzler,, und so hatte Mary bald Zutritt zum Hof, wo sie die führenden Persönlichkeiten der Zeit kennenlernte, darunter Alexander Pope, der sie verehrte. Anfang 1716 wurde Lord Edward Montagu als Botschafter an den Osmanischen Hof in Konstantinopel gesandt. Für ihre Zeit völlig unüblich, begleitete ihn Lady Mary dorthin. In Istanbul wurde auch ihre Tochter Mary geboren. Sie hielt die Erlebnisse der Reise in die Türkei und das Leben dort in einer Reihe von Briefen fest, die sich bis heute spannend und unterhaltsam lesen. Als Frau des britischen Gesandten hatte sie Zutritt zum Harem und zum Frauen-Hamam, und sie schildert diese Institutionen treffend und warmherzig. In der Türkei wurde sie Zeugin von Pockenimpfungen und ließ auch ihre Kinder dort impfen. Als ihr Mann und sie 1718 nach England zurückkehrten, führte sie die Impfung nach anfänglichen Widerständen dort ein. Sie zerstritt sich mit Pope, offenbar weil sie seinem Werben nicht nachgegeben hatte, und begann einen fast öffentlichen Brief-Streit mit ihm. 1719 verließ sie ihren Mann und folgte einem Liebhaber, dem italienischen Poeten und Dandy Francesco Algarotti, nach Venedig. Algarotti interessierte sich aber zu diesem Zeitpunkt mehr für ihren Nebenbuhler, Lord Hervey. Sie blieb für 23 Jahre in Italien, stets von Verehrern beiden Geschlechts umgeben. Sie starb 1762 an Krebs, ein Jahr später erschienen ihre „Turkish Letters“, die seitdem in England bis heute ununterbrochen lieferbar sind.

Der vollständige deutsche Titel des Werkes lautet: Briefe der Lady Marie Worthley Montagu; geschrieben während ihrer Reisen in Europa, Asia und Afrika, an Personen vom Stande, Gelehrte etc. in verschiedenen Theilen von Europa geschrieben; welche außer andern Merkwürdigkeiten Nachrichten von der Staatsverwaltung und den Sitten der Türken enthalten; aus Quellen geschöpft, die für andre Reisende unzugänglich gewesen. 3 Bände, Weidmanns Erben und Reich, Leipzig, 1763.

Eine Dame, die sozusagen „unterwegs aufgegabelt“ wurde, ist

Florence Barbara Maria Baker

Samuel White Baker war das Idealbild eines viktorianischen Forschungsreisenden: Er war groß, breitschultrig, prächtig bebartet. Er entdeckte den Albert-See, erforschte den Nil, war ein Abenteurer und Jäger, der Stoff aus dem das Empire seine Helden bezog. Baker war seit vier Jahren verwitwet, als er 1859 die Einladung zu einer Jagdpartie in Ungarn erhielt. Auf der Reise passierte er auch die bulgarische Stadt Widin, wo gerade ein Sklavenmarkt stattfand. Er verliebte sich augenblicklich in eine 17-Jährige, die gerade einem Türken zugeschlagen werden sollte, überbot den Türken und nahm den schönen Auktionsgewinn mit. Sie hieß Maria Freein von Sass, stammte aus Siebenbürgen und war nach der Ermordung ihrer Eltern in einen Harem verschleppt worden. Sie sprach Englisch, Türkisch und Arabisch, sie konnte Pferde, Maulesel und Kamele reiten und trug in der Wildnis Pistolen. „Lady Baker is not a screamer“, notierte ihr Gatte stolz. Während sie in den Büchern der Zeit immer in der konventionellen Kleidung einer viktorianischen Dame gezeigt wurde, trug sie während der Expeditionen des Paares Kleidung, die sich nur unwesentlich von der ihres Gatten unterschied. 1861 brach sie mit ihrem Mann zu einer Expedition zur Erforschung der Quellen des Nils auf. Dabei entdeckten und erforschten sie den Albertsee, kamen als erste Europäer an die Murchison Falls und bereisten bislang unbekannte Gebiete am Oberlauf des Nils. 1869 nahm sie an der Seite ihres Mannes an einer weiteren Expedition im Auftrage des Khediven teil und blieb mit ihm (Baker) bis 1873 im Sudan, wo er die Funktion eines Gouverneurs von Äquatoria übernommen hatte. Aufgrund ihrer im Dunkeln liegenden Herkunft und der Tatsache, dass sie über sechs Jahre unverheiratet mit ihrem späteren Mann zusammengelebt hatte, weigerte sich Königin Victoria, sie zu empfangen. Nach Bakers Tod 1893 zog sie sich ganz aus der Öffentlichkeit zurück. Sie wurde bis zu ihrem Tode 1916 von Bakers Kindern aus erster Ehe liebevoll umsorgt.

Samuel Baker schrieb zahlreiche Bücher, in denen seine Frau oft erwähnt wird, z.B.: Der Albert N'yanza, das große Becken des Nil und die Erforschung der Nilquellen. Oder: Die Nilzuflüsse in Abyssinien. Forschungsreise von Atbara zum Blauen Nil und Jagden in Wüsten und Wildnissen.

Der Ehemann dieser Dame verlangte seiner Frau einiges an Durchhaltewillen und Toleranz ab:

Josephine Diebitsch-Peary

Josephine Diebitsch-Peary (1863-1955) war die Tochter von Hermann Diebitsch, einem deutschen Linguisten am Smithsonian Institute, und seiner Frau Magdalena. 1888 heiratete sie Robert Peary, der soeben begann, sich einen Namen als Arktisforscher zu machen. 1891 begleitete Josephine ihren auf der Kite ins nördliche Grönland. Sie überwinterten in der McCormick Bucht, die etwas gleich weit vom Nordpol wie vom Polarkreis liegt. Sie beschrieb die Erlebnisse dieser Überwinterung in dem Buch „My Arctic Journal“ (New York, Longmans et al., 1893). Als Josephine Peary aus Grönland abreiste, fragte sie sich in ihrem Tagebuch, ob die armen, ignoranten Eskimo wirklich einen Gewinn aus ihrem Verkehr mit den Amerikanern gezogen hätten, oder ob er ihnen nur ihre wahre mittellose, entbehrungsreiche Lage vor Augen geführt habe. Als das Buch erschien, war Josephine schon wieder mit ihrem Mann im hohen Norden, wo sie Marie Ahnighito Peary gebar, die liebevoll das „Schnee-Baby“ genannt wurde. Die Schilderung der Geburt und der ersten Jahre des Kindes wurden in „The Snow Baby“ niedergelegt (F.A. Stokes, 1901). Im Jahre 1900 schließlich segelte sie mit der Windward ihrem Mann entgegen in Richtung Fort Conger. Das Schiff wurde von einem Eisberg beschädigt, und Josephine, Marie und die Mannschaft mussten 300 km südlich von Pearys Lager überwintern. In diesem Winter traf Josephine Allakasingwah, die schwangere Inuit-Geliebte Pearys. Obgleich sie seine Treulosigkeit schmerzte, unterstützte sie nach wie vor ihren Gatten. Er starb 1920 und sie überlebte ihn um mehrere Dekaden. Bis zuletzt verteidigte sie seinen Anspruch, als Erster am Nordpol gewesen zu sein.

Das Ehepaar schließlich war das perfekte, einander ergänzende Forscherteam:

Marie Pauline Thorbecke

Marie Pauline Thorbecke, geb. Berthold, (1882-1971) stammte aus Aurich. Sie studierte Kunst bei Fritz Mackensen und Otto Modersohn von der Worpsweder Künstlerkolonie. Außerdem war sie eine begabte Photographien. 1909 heiratete sie den Geographen und Afrikareisenden Franz Thorbecke, und wurde sofort eine unermüdliche und unentbehrliche Begleiterin und Gehilfin, die aber stets diskret im Hintergrund blieb. 1911 bis 1913 leitete Franz Thorbecke eine umfassende Forschungsexpedition der Deutschen Kolonialgesellschaft nach Kamerun, an der Marie teilnahm und zu deren Erfolg sie maßgeblich beitrug. Sie photographierte, zeichnete und malte und schrieb einen großen Teil des Expeditionsberichtes. Diese Studien über Zentralkamerun legten die Grundlage für die geographischen Forschungen dort.

1914 veröffentlichte Marie „Auf der Savanne“, ihr Tagebuch der Kamerun Expedition. Der große Bericht der Expedition „Im Hochland von Kamerun“ erschien 1914-19 in 3 Bänden bei Friedrichsen in Hamburg, ein 4. Band in 2 Teilen im gleichen Verlag 1924 und 1954, dieser letzte Band von Marie herausgegeben, da Franz 1945 gestorben war.

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